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Illustrierte Menschen

bemerkenswert, wie stark zwei soziokulturelle Positionen heute gelegentlich an einander entlang schrammen. Einerseits sind Tätowierungen längst etwas Alltägliches geworden und tätowierte Menschen begegnen mir auf allen sozialen Feldern. (Ein Stück Verfügen über den eigenen Körper.)

Andrerseits rufen vor allem jene Tattoos, die sich nicht mit Kleidungsstücken bedecken lassen. gelegentlich heftige Ressentiments hervor. Man könnte ganz gelassen feststellen: „Was schert es mich? Ist ja nicht meine Sache.“ Aber ich höre immer wieder Einwände.

Müßte das dem Bereich Body Shaming zugerechnet werden? Wer körperlich von derzeit vorherrschenden Konventionen deutlich abweicht, muß mit Zwischentönen oder offener Abschätzigkeit rechnen.

Wie kann es sein, daß sich jemand von einem übergewichtigen Leib provoziert fühlt? Wie kann es sein, daß sich jemand von einem tätowierten Körper provoziert fühlt? Es geht freilich auch in die andere Richtung. Eine Frau hat sich die Brüste „machen lassen“. Ein Mann hat sich Fett absaugen lassen. Jemand ließ sich Haare einpflanzen. Das alles löst merkwürdig gefärbte Kommentare aus.

Es ist eben manchmal ganz leicht, die Untertanen in uns herauszukitzeln. Die Vorstellungen von Norm und Normalität sind wie ein verinnerlichtes Wachpersonal. Was nun die Tattoos angeht, haben wir es freilich im Kern mit sehr altem Kulturgut zu tun. Das ist nicht etwa auf die Südsee oder Japan oder sonst eine ferne Gegend beschränkt, Das Tatauieren läßt sich seit jeher rund um die Welt zu finden. Von Afrika bis Australien. Von der sibirischen Steppe über Polargebiete bis in unsere Alpen.

Was meinen Sie denn, wann der tätowierte Mann aus den Ötztaler Alpen, der uns als Gletschermumie erhalten blieb, sein Leben ausgehaucht hat? Das ist rund 5.300 Jahre her. Halten wir also fest, daß Tattoos eine volkskulturelle Kategorie sind, die im Alpenraum Jahrtausendtradition hat. Dazu kommt aktuell ein starker popkultureller Faktor.

Popularkultur hat viel mit dem zu tun, was gelegentlich als Volkskultur gedeutet wird. Daß nämlich Menschen ohne Beachtung der Zurufe „von oben“ ihren kulturelle und spirituellen Bedürfnissen nachgehen. (Dürfen sie sowas?) Und weil ich genau das in meiner Umgebung finde, in der Region finde, habe ich dazu im Archipel eine Themenleiste aufgemacht. Siehe:

Postskriptum
Zu Ötzi und seinen Tattoos heißt es: „Am Körper der Mumie wurden bisher 61 Tätowierungen entdeckt, alle in Form von Strichbündeln oder Kreuzen. Die Linien wurden nicht wie heutige Tattoos mit einer Nadel in die Haut eingestochen, sondern es wurden feine Schnitte vorgenommen, in die dann pulverisierte Holzkohle eingerieben wurde. Die Tätowierungen liegen alle im Bereich der Rippen und der Lendenwirbelsäule, am Handgelenk, am Knie, an den Unterschenkeln und an den Fußgelenken.“ [Südtiroler Archäologiemuseum: „Ötzi, der Mann aus dem Eis“]

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